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Kaum ein Stück Shakespeares ist so vieldeutig wie der 'Kaufmann von Venedig', keines hat ein so wechselvolles Bühnenschicksal erlebt. Wegen der Figur Shylock ist es untrennbar mit der Geschichte des europäischen Antisemitismus verbunden. Eigentlich wird ein Märchen erzählt - Der reiche und gute Kaufmann Antonio, dessen Kapital auf Handelsschiffen gebunden ist, borgt vom Juden Shylock Geld für seinen Freund Bassanio, damit dieser standesgemäß um Portia, die Schöne, Reiche und Kluge, werben kann. Als 'Sicherheit' verlangt Shylock, sich bei Überschreiten der Frist ein Pfund Fleisch aus Antonios Körper schneiden zu dürfen. Bassanio erringt Portia, indem er von drei dargebotenen Kästchen das richtige wählt, und dem Glück sollte nichts mehr im Wege stehen. Doch da wird der Bankrott Antonios gemeldet. Der verbitterte Shylock, dem Menschlichkeit und Toleranz so lange versagt blieben, wittert Rache und besteht auf seiner mörderischen Ford erung. An dieser Stelle bricht etwas Ambivalentes, Beunruhigendes, schwer Interpretierbares in das Märchen ein, das auch durch Portias rettenden juristischen Trick vor Gericht, das Wiederfinden der Schiffe und das Schäkern der glücklichen Liebespaare im letzten Akt nicht aufgehoben werden kann. Es ist dies der faszinierend zwiespältig angelegte Charakter des Shylock, der wie kaum eine andere Figur der Theatergeschichte der Interpretation durch den Schauspieler bedarf. Lange Zeit hat er als komisch-grotesker Bösewicht mit Krummnase belustigtes Kopfschütteln ausgelöst und das Stück zur Komödie gemacht. Erst um 1750 vollzog sich die Wende zum leidenschaftlichen, haßerfüllten Ungeheuer Shylock, und noch einmal knapp hundert Jahre später gab man ihn als tragischen, würdevollen Fremdling, Opfer venezianischer Demütigungen. Bis heute changieren die Deutungen, werden Neuinszenierungen des 'Kaufmanns' gerade in Deutschland mit höchster Aufmerksamkeit verfolgt. Eines jedoch ist sicher - Ein Zurück zur Komödie wird es nicht mehr geben.
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