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Von illusionärer Wirklichkeit und wahrer Illusion
Susanne Winter
2007
Venedig war im 18. Jahrhundert nicht nur ein Zentrum des Theatergeschehens, sondern zugleich Mittelpunkt lebendiger Theaterdiskussionen. Der sogenannte venezianische Theaterstreit mit den Protagonisten Carlo Goldoni und Carlo Gozzi erscheint in der Literatur- und Theatergeschichtsschreibung vielfach in Form einer vereinfachenden Reproduktion der Polemik. Das überwiegend kritisch-negative Gozzi-Bild korreliert mit einer einseitigen Hochschätzung Goldonis und der von ihm propagierten Theaterreform, wird dagegen Gozzi als Retter der Commedia dell´arte verehrt, gilt Goldoni als ihr Totengräber.Die vorliegende Studie versucht, derartige Vorurteile aufzubrechen und Carlo Gozzis Fiabe teatrali als veritablen Gegenentwurf zu Goldonis Komödien und zum aufklärerischen Drama zu verstehen. Auf dem Hintergrund des italienischen Theaterkontexts im 18. Jahrhundert und der venezianischen Theaterszene der Zeit treten die Besonderheit der Märchenstücke und das Anliegen Gozzis deutlich zutage.Mit den Grundkonstituenten Märchen und Commedia dell´arte wenden sich die Fiabe teatrali gegen ein Theater, das die Wirklichkeitsnähe betont und einen Nützlichkeitsanspruch verfolgt. Die Verbindung der wirklichkeitsfernen Elemente erfolgt in einer Art ars combinatoria, die auf Kontraststrukturen basiert und den artifiziellen Charakter unterstreicht. Damit tritt die Autonomie der theatralen Wirklichkeit hervor, und die Einbildungskraft wird zum entscheidenden Faktor. Das Märchenhafte wird allerdings zweifach an die Erfahrungswirklichkeit rückgebunden: zum einen finden sich in der Maskenrede direkte Verweise auf die nicht-theatrale Wirklichkeit, zum anderen scheinen in der Bühnenillusion Wahrheiten auf, die in der diskursiven Diskussion verborgen bleiben. So eröffnet das neue dramatische Genus der Fiabe teatrali die Möglichkeit, auf den Konstruktcharakter von Wirklichkeit hinzudeuten und die Problematik der Erkenntnis von Wahrheit in Szene zu setzen.
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