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Das heute in der Westukraine gelegene Brody wurde im Zuge der Ersten Teilung Polens 1772 Teil der Habsburgermonarchie und war rund 150 Jahre lang die nordöstlichste Grenzstadt des Landes, zunächst zu Polen (bis 1795) danach zu Russland. Das vorliegende Buch behandelt die gesamte österreichischer Zeit exklusive des Ersten Weltkriegs. Die ersten beiden Teile analysieren Brody aus wirtschafts- bzw. gesellschaftsgeschichtlicher Sicht, während im dritten Teil die unterschiedlichen zeitgenössischen und heutigen Wahrnehmungen Brodys thematisiert werden. Die ersten beiden Abschnitte entsprechen einer klassischen historischen Herangehensweise, bestehend aus der Analyse von Archivmaterial (v.a. aus Lemberg, Wien, Krakau und Paris), publizierten Quellen (Statistiken, Schematismen, Reiseberichte) und Sekundärliteratur. Der letzte Teil ist hingegen literatur- bzw. kulturwissenschaftlich gearbeitet und umfasst eine Analyse von Erinnerungsbüchern, Reiseberichten und Belletristik, sowie einen Bildteil.Brody war im 18. und frühen 19. Jhd. eine der wichtigsten Handelsdrehscheiben Ost(mittel)europas. Erst in den letzten Jahrzehnten des 19. Jhd. entwickelte sich Brody von einer Handelsstadt europäischen Formats zu einer peripheren galizischen Kleinstadt an der österreichisch-russischen Grenze. Ob man diesen Bedeutungsverlust als Misserfolgsgeschichte wertet oder nicht, hängt vom jeweiligen Blickwinkel ab: Aus makroökonomischer Perspektive ist der Niedergang offensichtlich, da Brody den von Technisierung und Industrialisierung geprägten Urbanisierungs- und Modernisierungstendenzen der zweiten Hälfte des 19. Jhd. diametral entgegen steht. Aus galizischer Sicht hingegen war die Redimensionierung Brodys wünschenswert, da die einstige internationale Ausrichtung Brodys zu einer gewissen Abkapselung der Stadt von ihrer Umgebung geführt hatte. Brodys Bedeutungsverlust war gleichsam der Beweis für die erfolgreiche Integration der Stadt in die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse des Kronlands.Brody hatte zu Beginn des 20. Jhd. Eigenheiten, die es von anderen galizischen Städten klar unterschied. Keine andere Stadt Österreich-Ungarns kannte ein derartiges Übergewicht der jüdischen Bevölkerung über die römisch-katholischen Polen und griechisch-katholischen Ukrainer. In der jüdischen Geistesgeschichte, sowohl als Ort rabbinischer Gelehrsamkeit, als auch als Zentrum der Haskala, so wie als Zufluchtsort für Pogromopfer, spielte Brody eine bedeutende Rolle. In den höheren Bildungsschichten dominierte die deutsche Sprache auffallend lange; erst Jahrzehnte später als andere jüdische Gemeinden Galiziens gaben die Brodyer Eliten ihre Orientierung am deutschsprachigen Zentrum zugunsten einer Selbstpolonisierung auf. Die starke Verankerung der russophilen Bewegung in Brody ist ebenfalls ungewöhnlich im Galizien des frühen 20. Jhd., wo die ukrainische Nationalbewegung rasant an Boden gewann.Die Gegensätzlichkeit zwischen dem ungewöhnlichen Brody und dem typisch galizischen Brody prägte, bewusst oder unbewusst, die damalige und heutige Wahrnehmung dieser Stadt in Reiseberichten, Belletristik und geistigen Bildern. Die Erinnerung an das habsburgische Brody ist nicht einheitlich und verläuft heute meist entlang nationaler Linien, was zuweilen den Eindruck erweckt es handle sich um gänzlich unterschiedliche Städte. Man findet im heutigen Brody neben sich teilweise überlagernden ukrainischen, polnischen, jüdischen, österreichischen und sowjetischen Gedächtnisorte auch solche die auf das wirtschaftliche, kulturelle oder administrative Erbe der Stadt verweisen.
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Keywords
- Border Town
- Brody (Ukraine)
- failure
- Galician Jewry
- Galizien
- History
- Humanities
- Juden
- Multicultural Lebenswelten
- Perception in the Longue Durée
- Polen
- thema EDItEUR::N History and Archaeology::NH History
- Transeuropean Economic History