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Die Rothschild'schen Gemäldesammlungen in Wien
Felicitas Kunth
2006
Der in der Donaumonarchie ansässige Zweig der aus dem Frankfurter Ghetto stammenden jüdischen Familie Rothschild, bekannt vor allem durch ihre hervorragende Stellung in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts, hatte in der Zeit zwischen 1840 und 1938 umfassende Kunstsammlungen zusammengetragen, die Kunsthandwerksobjekte, wertvolle Porzellane, Tapisserien, Waffen, astronomische Geräte, Münzen, Plastiken, Zeichnungen, Aquarelle und Gemälde mit einschlossen. Ziel der Arbeit war es, die Gemäldesammlungen der Bankiersfamilie vorzustellen, ihre Schwerpunkte herauszuarbeiten, Verschiebungen im Sammlungsgefüge zu untersuchen, Inspirationsquellen zu benennen und die Frage zu klären, ob das Sammeln von Kunst aus wahrer Leidenschaft erfolgte oder vorrangig der Prunkvollen Darstellung ihres Reichtums dienen sollte. Zunächst wird beschrieben, wie sich die Familie seit der Zeit als Salomon von Rothschild 1820 eine Filiale des Bankhauses in der österreichischen Hauptstadt gründete, in Wien etablierte, ihre Stellung als Juden und gleichzeitig Hauptfinanziers der Monarchie, die Erhebung in den Freiherrenstand, die Erweiterung ihres Grundbesitzes, ihre sozialen Stiftungen und der Bau ihrer Paläste im IV. Wiener Bezirk, die eigene architektonische Konzepte ersichtliche werden ließen. Es wird gezeigt, wie sehr sich die Familie einerseits an den Kunstkammern der Habsburger orientierte, andererseits in ihren Sammlungen eigene, familientypische Vorlieben pflegte, die sich besonders auf die französische Dekorationsmalerei und die holländische Schule des 17. Jahrhunderts erstreckten. Einen zweiten Schwerpunkt der Arbeit bildet das Schicksal der Familie und ihrer Sammlungen, das detailgenau bis zur letzten Restitution 1998 beschrieben wird. Erstmalig erscheint auch eine Inventarliste der Gemäldesammlungen, deren Quellen Testamente, Schätzungsprotokolle und Briefe sind. Hier wird mit größtmöglicher Genauigkeit der Inhalt der Sammlungen aufgeführt, der jeweilige Besitzer genannt, sowie die Bergungsorte während des Krieges beschrieben und der heutige Verbleib geklärt. Im Resultat präsentieren sich die Mitglieder der Familie als wahre Kunstkenner, die eigene Galerien in ihren Häusern einrichteten und nicht danach trachteten ihre Schätze publikumswirksam auszustellen. Erstaunlich bleibt die Fokussierung auf bestimmte Schulen, die nicht unbedingt mit dem gängigen Kunstgeschmack einherging, und Werke der zeitgenössischen Kunst komplett negierte. Gekauft wurden die Gemälde bevorzugt von Privat, falls eine Teilnahme an einer öffentlichen Auktion notwendig war, wurden Strohmänner geschickt, so dass die Familie Rothschild ihre Anonymität wahren konnte. Aus demselben Anliegen wurden auch Rechnungen und Korrespondenzen nach Möglichkeit vernichtet; Kataloge der Sammlungen wurden aus diesem Grund ebenfalls nicht veröffentlicht. Dass es erst im Jahr 2001 zu einer wissenschaftlichen Arbeit über die berühmte Gemäldesammlung der Wiener Rothschild Familie kam, liegt an verschiedenen Gründen. Zu Lebzeiten der Rothschilds in Österreich hat die Familie eine Aufstellung ihres Besitzes in jeder Hinsicht immer sorgsam vermieden. Wohl aus geschäftlichen Gründen, Tradition und Angst vor Ausbrüchen antisemitischer Gefühle versuchte die Familie so gut es eben ging geheim zu halten was sich alles wirklich in ihrem Besitz befand. Nachdem die Sammlungen mit den Ereignissen von 1938 aufgelöst wurden, und die Paläste der Familie in Wien geräumt waren, ihre Angehörigen nach Amerika ausgewandert und man andere Sorgen hatte, war das Interesse an den Sammlungen der jüdischen Bankiersfamilie begrenzt. Erst mit Anfängen der Beutekunstdebatte, der Pläne um das Linzer Museum und des sich seit dem zweiten Weltkrieg in Staatsbesitz befindlichen jüdischen Eigentums und der letzten Rückgabe der in Österreich verbliebenen Werke 1998 rückte die Kollektion wieder in den Mittelpunkt des Interesses. Die meisten Arbeiten widmeten sich nun aber, und dies meist sehr oberflächlich, dem Schicksal der Sammlungen nach 1938, ohne auf ihre Entstehung einzugehen. Dies entsprach einerseits den aktuellen Anlässen, andererseits hat viele Autoren wohl auch die schlechte Archivlage abgeschreckt. Diese rührt daher, dass die Familie einen Großteil der privaten Korrespondenz, der Rechnungen und Geschäftsbücher selbst ganz bewusst verbrannte und die beiden Weltkriege das ihrige zur Vernichtung und Zerstreuung vieler Papiere beigetragen haben. Die Sowjets brachten einen großen Teil der privaten Korrespondenz - das Rothschild Privatarchiv war 1938 zunächst nach Berlin gebracht worden und wurde von der russischen Armee bei ihrem Marsch auf Berlin wahrscheinlich aus einem schlesischen Bergungsdepot entwendet - in ihre Hände. Dieses Material war lange nur unter sehr schweren Bedingungen im Russischen Staatlichen Militärarchiv in Moskau zugängig, wo sie auch für die vorliegende Arbeit konsultiert wurden, seit Sommer 2002 befinden sich die Akten nun im Londoner Rothschild Archiv, dessen kundiger Leiter Victor Gray und seine Assistentin Melanie Aspey jede nur mögliche Hilfe zur Verfügung stellen. Die Indexlisten des Österreichischen Staatsarchivs nennen interessante Dokumente; leider sind einige Akten auf nicht nachgewiesene Weise verschwunden und auch nach intensiver Suche unauffindbar, so dass von ihrem Verlust auszugehen ist. Weiteres Quellenmaterial, wie etwa das Testament von Nathaniel von Rothschild, fiel unglücklichen Umständen zum Opfer: So ging der Nachlasskatalog beim Brand des Wiener Justizpalastes von 1927 für immer verloren. Eine der wenigen noch existierenden Quellen stellen die Briefe des nach England ausgewanderten Baron Ferdinand von Rothschild dar. Seine Dokumentation gibt Zeugnis vom Rothschild'schen Familieneifer, sich mit schönen und wertvollen Dingen zu umgeben. Die Inventarliste, die der Publikation anhängt, konnte nur aufgrund der Konsultation aller vorhandener privater Kunstauflisten, der durch die Nazis erstellten Inventarlisten, persönlicher Briefe (die sich heute in Moskau, Kew, London und Wien befinden), Testamente und staatlicher Schätzungsprotokolle sowie der sich im Koblenzer Bundesarchiv befindlichen Listen der Linzer Sammlungen erstellt werden. Sie ist nicht nur für diejenigen von Interesse, die sich mit den Sammlungen der Rothschilds auseinandersetzen, sondern auch für viele, die Recherchen über andere Kunstobjekte anstellen, die sich vor 1938 in jüdischem Besitz befunden haben.
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