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Die grundlegende Bedeutung der Terminologie steht für jede Wissenschaft zwar außer Streit, viele Termini werden aber oft in Frage gestellt und immer wieder neu definiert. In der Ethnomusikologie ist dieser Vorgang eine all zu bekannte Erscheinung, beschäftigen sich doch die Forscher dieser Disziplin mit unterschiedlichsten Musikkulturen. Die mannigfaltigen Weltanschauungen der Gewährspersonen, die gleichzeitig Träger und Darsteller (im doppelten Sinn des Wortes) der jeweiligen Tradition sind, machen die Frage noch komplexer. Dieser Zustand nimmt in Fragen vokaler Mehrstimmigkeit eine besondere Stellung ein, auf Grund der eigenen musikalischen Ästhetik und des eigenen Vokabulars, die sich unter Sängergruppen etabliert haben. Er wird zusätzlich durch Änderungsprozesse in jeder Musikkultur und jene in der Ethnomusikologie betont.Diese Frage vom Blickwinkel der Volksterminologie zu erkunden, erfordert zuerst spezifische und individuelle Konzepte des kulturellen Hörens im Sinne von ‚Aufmerksamkeit schenken', ‚sich konzentrieren auf' und ‚Aufmerksamkeit ausrichten auf' in die Untersuchungen mit einzubeziehen. Diese Konzepte sind einerseits durch Prozesse des Musikhörens and Musikmachens, andererseits durch den lokalen Diskurs, in dem Volkssänger- und -musikanten, wie auch die jeweilige lokale Gemeinschaft mitwirken, etabliert.Der Diskurs als jene Art der Kommunikation, durch die sich Personen über den Geltungsanspruch von Normen verständigen spielt eine wichtige Rolle in den Prozessen von Legitimation und Macht innerhalb einer Gemeinschaft. Ein wesentlicher Teil des Diskurses ist das Singen selbst. Die Musik wird daher Objekt und Subjekt der Untersuchungen. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang Gender-Fragen. Sie betreffen Gemeinschaften in denen Frauen aktiv in der Praxis der vokalen Mehrstimmigkeit teilnehmen sowie andere, in denen sie vor allem Zuhörerinnen sind, trotzdem aber eine entscheidende Rolle in den Diskurs-Prozessen spielen.Eine spezifische Rolle kommt Fragen der Hirnforschung zu. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist die Funktionalität eines exakten motorischen Kontrollsystems innerhalb des Körpers für die präzise Zeitmessung, die Sequenzbildung und die Raumorganisation der Bewegungen während der musikalischen Interpretation. Musikinterpretation und -hören sind kulturell bedingt, aber sie sind gleichzeitig natürliche menschliche Fähigkeiten. Die Untersuchung der zugrunde liegenden Prozesse ist daher entscheidend und verspricht die Entdeckung grundlegender Merkmale des menschlichen Gehirns.Die unterschiedlichen theoretischen Blickwinkeln in den drei ersten Kapitel des Buches werden von Annäherungen an ein "Lexikon der lokalen Terminologie zur vokalen Mehrstimmigkeit in Europa" gefolgt. Diese widerspiegeln die Situation weniger aber unterschiedlicher Gemeinschaften und Regionen in Europa und helfen zusätzliche Einsichten zu den gestellten Fragen zu gewinnen.
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